Mantel von Morgen: Chilly Gonzales und sein Bühnenoutfit

MantelImmer dann, wenn in Filmen eine der Figuren im Morgenmantel auftaucht, ist klar: Es folgt ein Ausschnitt, der in der Realität ganz sicher ohne Publikum stattfinden würde. Chilly Gonzales Markenzeichen ist der Morgenmantel, er trägt ihn sogar bei Auftritten mit großem und ehrbarem Orchester. Und selbst wenn es sich hier natürlich ebenfalls – wie im Film – um ein Kostüm handelt, lässt ihn das unmaskiert und nahbar erscheinen.

Bei den meisten Streifen sollte der Rezipient die Ohren spitzen und die Hand im Popcorn-Eimer ruhen lassen, sobald ein Morgenmantel auf der Bildfläche erscheint. In „Vom Winde verweht“ ist Scarlett O’Haras Auftritt in der scharlachroten Version legendär, sie trägt das edle Stück während einer der Schlüsselszenen, nämlich als sie am Ende ihre Liebe zu Rhett Butler doch noch erkennt, und er beschließt, sich von der Liebe zu ihr zu befreien. Betrunken trägt er seine Frau ein letztes Mal ins Schlafzimmer, und erst auf den Stufen dorthin wird der Zuschauer wieder ausgesperrt. Insgesamt trägt die Protagonistin sieben verschiedene Morgenmäntel, meist in Momenten größter Intimität und Verletzlichkeit. In „The Man Who Came To Dinner“ hüllt sich der Hauptdarsteller, ein schillernder Radiomoderator, den es zu seiner Familie in die Provinz verschlagen hat, nahezu ausnahmslos in auffällige und edle Morgenmäntel. Er ist verletzt (am Bein) und verletzlich zugleich.

Näher – zumindest optisch und beruflich – an Morgenmantelträger Chilly Gonzales ist sicher der Komponist Hollenius im Film Deception. Der legt ihn gleich fast den ganzen Tag nicht mehr ab und spielt darin auch gern Klavier. Der Morgenmantel ist sozusagen seine Arbeitskleidung, der Frack des Kreativen, aber auch das Gewand der Gemütlichkeit.

Ganz ähnlich hält es einer der Großen unserer Zeit. Karl Lagerfeld hat vor einiger Zeit Harper’s Bazaar einen Blick in seine beiden Pariser Stadthäuser werfen lassen und dabei Intimes preisgegeben: Er trage zum Schlafen ein Nachthemd aus weißer Popeline, welches er nach einem Gemälde aus dem 17. Jahrhundert habe anfertigen lassen – und das bis zum Mittagessen. Dazwischen diene der edle Stoff als Malkittel. Wer einmal in einem kreativen Beruf oder von zu Hause aus gearbeitet hat, wird sich hier wahrscheinlich wiederfinden. Bis auf das Nachthemd vielleicht. Und eigentlich wäre an dieser Stelle schon fast erklärt, warum Chilly Gonzales auf der Bühne einen Morgenmantel trägt. Der Morgenmantel (oder wie bei Lagerfeld das Maßnachthemd) ist der Jogginganzug des feinen Mannes. Er suggeriert, man säße auf dem Sofa, seinem Sofa und lausche quasi in Gonzales Wohnzimmer seinem Vortrag, als gäbe es keinen Unterschied zwischen privatem und öffentlichem Spiel. Gleichzeitig macht er sichtbar, dass er sich selbst, aber auch das Publikum nicht zu ernst nimmt. Und damit wäre man wieder bei seiner Mission, die Grenzen zwischen „Hoch“- und „Tiefkultur“ zu verwischen und Musik zu demokratisieren.

Im Deutschen wird der Begriff „Morgenmantel“ oder „Morgenrock“ fälschlicherweise oft synonym zu „Bademantel“ gebraucht. Aber natürlich handelt es sich hier nicht um dieses unsägliche Frotteedings, das man nach dem Duschen oder am Schwimmbeckenrand überwirft, sondern um das edle Heimkleid stilsicherer Herren, auch „Hausmantel“ genannt. Es gab Zeiten, da hatte jeder Mann, der etwas auf sich hielt, einen Morgenmantel. Mindestens. Eher mehrere, deren Design und Material nicht dem Zufall oder der Schwiegermutter überlassen wurden, sondern sorgfältig gewählt waren. Als noch strikte Dresscodes galten, war es gar nicht unüblich, dass Mann den Morgenmantel nicht nur nach dem Aufstehen oder vor dem Zubettgehen über dem Pyjama trug, sondern auch am Tag über Anzughose und Hemd, wenn er nicht bis ins Detail korrekt gekleidet, also in vollem Staat war.

Insofern ist es auch kein Zufall, dass Chilly Gonzales Monogramm-Morgenmantel aus dem Hause Herr von Eden stammt (mal abgesehen davon, dass eine freundschaftliche Verbindung und beiderseitige Wertschätzung besteht). Das Modelabel von Bent Angelo Jensen ist für Kleidsames bekannt, welches das Erhabenste modisch schöner Epochen verwebt und doch den Träger nie verkleidet aussehen lässt. In Schnitt, Material und Muster häufig nostalgisch, sind es die Details, welche für die Prise Punk sorgen. Für seine Anzüge müsste der Begriff Klassische Moderne eigentlich neu geprägt werden. Es scheint also nur logisch, dass ein solcher Edel-Designer – und edel meint hier nicht teuer, sondern erlesen – einen traditionellen Morgenmantel für Chilly Gonzales entwirft. Das schwarze, leicht-glänzende Gewand mit den lila- und silberfarbenen Details sowie den eingestickten Initialen wirkt klassisch und ist dezent mit einem Hauch Dandy parfümiert – ganz ohne Hefner’sche Anrüchigkeit. Neuerdings kann man den original Chilly Gonzales Morgenmantel sogar kaufen. Vielleicht ein guter Grund, die Jogginghose dahin zu verbannen, wo sie hingehört: auf den Stapel mit den Sportklamotten oder in den Müll. So ein Morgenmantel ist einfach in vielerlei Hinsicht die anziehendere Alternative.

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