Gonzales in der Bild-Zeitung: „Wie guter Sex“

Wer es auf die Startseite von Bild.de, Deutschlands auflagenstärkster Tageszeitung, schafft, hat es geschafft. Es sei denn, die Schlagzeile ist schlüpfrig. Dann hat man zwar den Ruhm, aber auch den Schaden. Bei der Bild-Zeitung sind die Schlagzeilen meistens schlüpfrig. Im Fall von Chilly Gonzales tritt das Unmögliche ein: Er hat es mit einer schlüpfrigen Schlagzeile auf die Startseite geschafft und wird trotzdem nicht als Piano-Luder oder Klavier-Casanova in die Annalen eingehen. „5 Gründe, warum seine Musik wie guter Sex ist“, heißt der Artikel und liest sich wie der Liebesbrief eines verhinderten Verbalerotikers (womit wir wieder in der Welt illustrer Journalisten wären). Und trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – ist der Artikel mit seinen Analogien zur Sexualität ein Höhepunkt, wenn auch nur ein kleiner und schon gar kein multipler. Chilly Gonzales selbst scheint mit dem Ergebnis, einer Twitter-Antwort zu Folge, nicht ganz glücklich zu sein und auch im Artikel selbst heißt es, er habe sich zunächst „geziert“, die „Theorie“ zu bestätigen. Das ist wohl der Preis den es zu zahlen gilt, wenn man sich mit dem Zeitungsteufel einlässt.

Hier also die 5 Gründe, warum man statt dem Pas de Deux im Bett auch gleich auf die Musik von Chilly Gonzales setzen kann:

1. „Weil er die perfekte Mischung aus Zärtlichkeit und Vulgärem liefert“

Was der Autor sagen will: Gonzales ist gleichzeitig ein Mann der Melancholie und Megalomanie – auf der Bühne. In seinen Shows erlebt man ein breites Spektrum an Emotionen. Darüber, ob der Ausdruck „vulgär“ hier passt, lässt sich streiten. Aber das ist sicher dem engen Sprachkorsett geschuldet – es muss sich schließlich schmutzig anhören, sonst passt’s ja nicht zum Sex.

2. „Weil er sich zwischen leidenschaftlicher Ekstase und technischer Perfektion bewegt“

Was der Autor sagen will: Bei Gonzales paaren sich Begeisterung und Leidenschaft mit Können. Obenstehender Satz könnte so auch in jedem anderen Artikel stehen, er beschreibt Chilly Gonzales gar nicht schlecht. Schade nur, dass er im Kontext so schrecklich nach der Kurzbeschreibung zu einem Softporno klingt.

3. „Weil er beweist, dass wahre Intimität manchmal schmutzig sein muss“

Was der Autor sagen will: Ein Bademantel ist ein ungewöhnliches Bühnenoutfit. Gonzales setzt es gezielt ein, um sein Publikum quasi im Wohnzimmer um sich zu scharen und so Intimität herzustellen. Was daran schmutzig sein soll, geht aus dem Artikel nicht wirklich hervor. Und in welcher Frauenzeitschrift steht, dass Intimität zwangsweise schmutzig sein muss, auch nicht.

4. „Weil er es in der Öffentlichkeit besonders aufregend findet“

Was der Autor sagen will: Chilly Gonzales spielt gerne live, das ist ihm bei jeder einzelnen Show anzumerken, auch wenn er davon fast 150 im Jahr gibt. Dabei ist der Kunde für ihn König und nur ein glückliches Publikum ein gutes. Deshalb gibt er auf der Bühne alles, bis der Schweiß in Strömen fließt und die Hände in Lichtgeschwindigkeit über die Tasten fegen.

5. „Weil man am Ende aufgeregt, entspannt, gerührt und ein bisschen verliebt ist“

Was der Autor eigentlich sagen will: Punkt 1 führt unweigerlich zu Punkt 5. Gonzales Humor öffnet das Herz, seine Musik erobert es und am Ende verlässt man das Konzert mit eben jenem Grinsen, das manche möglicherweise nach gutem Sex auch nach Stunden noch auf dem Gesicht haben.

 

Als Fazit bleibt: Man merkt, dass der Journalist sich mit Gonzales beschäftigt und vieles erfasst hat, was ihn aus- und besonders macht. Ob man sich deshalb gleich plumper Populär- oder eher Pubertätserotik bedienen muss, sei dahin gestellt. Leider geht aus der Signatur „C. Mohr“ nicht hervor, ob der Urheber weiblich ist. Die Vermutung liegt jedoch nahe. Und am Ende folgt die Zigarette danach und man ist mit der Hoffnung schwanger, dass wohl nicht nur die Autorin, sondern auch immer mehr Menschen in Chilly Gonzales Schaffen „ein bisschen verliebt“ sind.

 

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